Mittwoch, 21. Juni 2017

Córdoba

Kurzerhand

Yo nunca llegaré a Córdoba, muß sich Lorcas Reiter eingestehen, für den Leser der Prosa Sebalds ist Córdoba das Heim des Erzählers, das er nie erreicht, nie kennenlernt. Er, der Leser, ist dabei, als der noch ledige junge Erzähler seine Unterkunft in Manchester bezieht und er ist auch dabei, als der Erzähler, inzwischen verheiratet, für seine Frau Clara und sich eine Wohnung in Hingham findet. Dann, Mitte Mai, kauft Clara eines Nachmittags kurzerhand ein Haus, und fortan sind wir von Besuchen ausgeschlossen.

Die erste Begegnung mit dem Erzähler haben wir in Wien, und überhaupt ist die Absenz der eigenen Wohnstätte, die wir mit guten Gründen in Südostengland vermuten, nirgends auffälliger als in den Schwindel.Gefühlen. Die erste der zwei Alpenreisen führt den Erzähler von Wien aus weiter nach Venedig und dann über Padua bis Verona, von wo aus er panikartig die Heimreise antritt, wir begleiten ihn aber nur bis zum Brenner, weitab noch von seinem vermuteten Wohnort. Die zweite Reise, sieben Jahre später, führt in mehr oder weniger auf der gleichen Route erneut nach Verona und dann weiter in die Gegend von Bruneck. Die Heimreise, die er diesmal unter geordneten Umständen antritt, führt ihn zunächst zu seinem Geburtsort im Allgäu, hier können wir die Wohnung betreten, in der er seine Kindheit verbracht hat. Von dort aus geht es weiter, den Rhein hinab, über den Ärmelkanal und schließlich nach London. Langsam bewegt sich schließlich der Zug aus dem Bahnhof Liverpool Street hinaus, das Ziel aber erreicht der Leser nicht, aunque sepa los caminos.

Es ist keineswegs verbürgt, daß der Erzähler nach seiner Italien- und Alpenfahrt zuhause angekommen ist. Vermutlich erreicht ihn dort die Nachricht vom Tod Bereyters, aber verbürgt ist auch das nicht. Ein Photoalbum seiner Mutter bringt den Erzähler später auf die Idee, dem Lebensweg des Onkels Adelwarth näher zu erforschen, eher hat er die Mutter besucht, als daß die mitsamt dem Album nach England gekommen wäre. Von wo aus das Flugzeug nach Newark startet, erfahren wir nicht. Etwas mehr Klarheit bringen die Ringe des Saturn. Zwar kann die windungsreiche Einleitung den Eindruck erwecken, der Erzähler sei unmittelbar aus dem Spital, in das er in einem Zustand nahezu gänzlicher Unbeweglichkeit eingeliefert worden war, zu seiner Fußreise aufgebrochen, tatsächlich aber ist der Ausgangspunkt das Haus, das er offenbar nach wie vor bewohnt mit Clara, die im Verlauf des Buches auch einmal erwähnt wird. Ein Blick auf oder gar ein Zugang zu dem Haus ist uns aber nicht vergönnt. Austerlitz schließlich: der Erzähler trifft ihn bei den verschiedensten Gelegenheiten und an den verschiedensten Orten, in Bahnhöfen, in Cafés und Bars, auf der Straße, am Fährhafen, an dessen Arbeitsplatz im kunsthistorischen Institut und auch in Austerlitz' Wohnung in der  Alderney Street. Der nach den gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu erwartende Gegenbesuch, für den Leser die Gelegenheit, Haus und Garten des Erzählers in Augenschein zu nehmen, bleibt aus.

Chandlers Lady in the Lake ist mit subjektiver Kamera verfilmt worden, der Zuschauer schaut mit Marlowe zu dessen Augen hinaus, bekommt ihn selbst aber allenfalls zu Gesicht, wenn er sich im Spiegel betrachtet. Das optische Medium vergröbert das Prinzip des Icherzählers und verdeutlicht es dabei: Wir schauen mit dem Icherzähler in die Welt aber nicht in ihn hinein oder doch nur soweit, wie er uns berichtend an seinen Introspektionen teilhaben läßt. Marlowe hat eine Wohnung, die der Leser betreten darf, mit, so stellt er es dar, einem Perkolator und einem Schachbrett als den wichtigsten Einrichtungsgegenständen. Die Wohnung ein bloßer Rahmen für das Ich des Icherzählers, ebenso das Büro, in dem er nachdenkt und uns davon soviel erzählt, wie er für richtig hält. Er kann den Innenblick hinter dem Außenblick verstecken, indem er etwa geduldig die hoffnungslosen Irrwege eines Käfers auf der Schreibtischplatte verfolgt und beschreibt - vielleicht denkt er aber auch gar nicht und schaut nur gedankenlos dem Käfer zu. Der Icherzähler klassifiziert die Schwindel.Gefühle im Gespräch mit Luciana Michelotti als Kriminalroman. Über sich selbst gibt er noch weniger preis als Marlowe, der Blick nach ist außen betörend reich und detailliert, der nach innen streng gefiltert. Wäre es bei der Bleibe in Manchester geblieben, mit der Teas-Maid anstelle von Perkolator und Schachbrett, würde der Zugang für uns weiterhin offenstehen, ein Familienheim aber, wie Clara es kurzerhand gekauft hatte, ist nicht angemessen für den Shamus und muß verborgen bleiben. Der Icherzähler als Wirerzähler, das wäre eine andere Geschichte

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